
Liebe Designschaffende! Liebe Designkonsumierende und Designproduzierende! Liebe Designverkaufende und Designsammelnde! Liebe Designbesitzende und Designliebende. Liebe Designhassende und Designverachtende! Liebe Globalisierungskritische und fürs Klima Streikende! Liebe Designstudierende und Design-Theoretisierende! Liebe Designaktivismus-Betreibende! (Liebe Designmonat-Graz-Eröffnungsgemeinde!)
Der Erderschöpfungstag oder auch „Earth Overshoot Day“, errechnet vom Global Footprint Network, ist heuer für Österreich auf den 6. April gefallen. Wenn alle Menschen der Welt die Biokapazität der Erde so wie wir in Österreich beanspruchen würden, dann bräuchten wir fast vier Erden (3,78, um ganz genau zu sein). Bei der Biokapazität geht es um die Aufnahmefähigkeit der Meere und Wälder, unser ausgestoßenes CO2 zu binden. Es geht aber auch um das Nachwachsen von genutztem Grasland, von Agrarflächen und Bäumen. Und es geht um die Regeneration von natürlichen Fischpopulationen in Meeren, Seen und Flüssen. Von all dem nehmen wir uns zu viel – viel zu viel. Unser Welterschöpfungstag errechnet sich aus dem für alle Menschen weltverträglichen, solidarischen ökologischen Fußabdruck pro Jahr (1,6 GHa), geteilt durch den durchschnittlichen Verbrauch jedes einzelnen Menschen in Österreich pro Jahr (unsolidarische 6,1 GHa), multipliziert mit 365 (Tage). Das Ergebnis dieser simplen Rechnung ist 96, der 6. April, der 96. Tag des Jahres. Das Ergebnis zeigt eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit unmissverständlich: Fehlende Solidarität mit den Ärmsten der Welt durch unseren Lebensstil, der in seiner exzessiven Entnahme von Biokapazität nicht weltverträglich ist.
Eine gelingende Kreislaufwirtschaft wird in biologische und technische Kreisläufe unterteilt. In Österreich beträgt die entnommene Biomasse ungefähr ein Viertel des gesamten Ressourcenverbrauchs. Technische Ressourcen machen die restlichen drei Viertel unserer verschwenderischen Lebensweise aus. Diese bestehen aus zumeist importierten fossilen Rohstoffen (13%) und Mineralien (56%) und Erzen (5%) aus österreichischem Abbau (Circularity Gap Report 2019). Das macht pro Person in Österreich einen Materialfußabdruck von 33 Tonnen pro Jahr. Bei allem Gerede zu Langlebigkeit, Zirkularität oder Recyclingfähigkeit, die wir Tag für Tag in der grüngewaschenen Werbung hören (PET-Flasche, 100% recycled, 100% recyclebar), ist die Zirkularitätsrate von Österreich nur beschämende 12%.
Was passiert mit all den nicht im Kreislauf geführten technischen Rohstoffen? Ein Teil geht als CO2 in die Luft, ein Teil ist Abfall. Ungefähr die Hälfte aller entnommenen Rohstoffe häufen wir in Form von neuen Straßen, Häusern und Produkten zusätzlich zu den bestehenden an – Jahr für Jahr. Ein Drittel der in Österreich verbauten Gesamtmasse sind Häuser. Ein Drittel ist Infrastruktur, Straßen zum Beispiel. Und das letzte Massendrittel ist unsere Biomasse (berechnet als Trockenmasse). Weltweiten Schätzungen zufolge ist die von Menschen verbaute Masse von Häusern, Straßen und dergleichen ebenso groß wie die gesamte Biomasse der Erde. Und sie steigt weiter exponentiell. Die weltweite Klimakrise ist eine unmittelbare Folge unserer Ressourcenverschwendung.
Der Ministerrat hat im Dezember 2022 die Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie beschlossen. Ein klares Ziel ist, bis 2050 den Materialfußabdruck von 33 Tonnen auf 7 Tonnen zu reduzieren. Wie das geht? Einfach gesagt, werden wir dann keine neuen Straßen und Häuser mehr bauen können oder eben nicht so dumm wie heute. Die Österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie nennt an erster Stelle – (ich zitiere): „Zirkuläres, nachhaltiges Design als neues Gestaltungs- und Entwicklungskonzept („circular by design“) zu etablieren und zu verbreiten.“ (Zitat Ende) als wichtigste Maßnahme.
Unsere heutige Konsumkultur im globalen Norden ist von Verschwendung, Überfluss und Ausbeutung geprägt. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Konsumkultur, in der wir leben, für die wir produzieren und gestalten, in eine Kreislaufkultur überführt wird. In der Krise von Ökologie und Ressourcenverschwendung wird von der österreichischen Politik erstmals zirkuläres Design als die (!) Lösungsstrategie unserer gesellschaftlichen Misere allen anderen Maßnahmen vorangestellt.
Liebe Designschaffende (und den Begriff möchte ich sehr weit interpretiert wissen), das ist ein historischer Moment, für das Curricular Design, auf die Barrikaden zu steigen und eine Designrevolution zu beginnen. Es ist eine Revolution der „ökologischen Klasse“ (Bruno Latour), die sich gegen die rücksichtslose Konsumkultur wendet. Es wird eine Revolution sein, bei der Produkte durch Modularität und Upgrade Fähigkeit ein längeres Leben bekommen. Es wird eine Revolution der Produktsysteme sein, bei der neue Formen der Nutzung statt des Besitzes etabliert werden. Es wird eine Revolution der Fabriken sein, in denen Produkte nicht nur erzeugt, sondern auch wieder, in ihre Einzelteile zerlegt, zu neuen Produkten werden. Und es wird eine Revolution auf Materialebene sein, bei der wirklich zirkuläre Materialien zum Einsatz kommen, die keinen Schaden bei Umwelt und Menschen verursachen. Die Gestaltung der Rückführung von Materialien und die Verlängerung der Nutzungsdauer wird zur ebenso wichtigen Designaufgabe wie die ästhetische Erscheinung eines Produktes. Designentscheidungen im Circular Design basieren auf Fakten und nicht Meinungen und Vorlieben wie bisher.
In der Kreislaufkultur wird Circular Design das Gestaltungsparadigma, das alles dominierende Prinzip. Wir stürzen das Prinzip der globalisierten, ausbeuterischen Überproduktion und ersetzen es durch lokale Produktion und lokale Materialströme nach Bedarf. Die Kreislaufkultur ist eine Gestaltungsaufgabe, die ein gutes Leben mit einer weltverträglichen Ressourcennutzung erreicht.
Unsere Revolutionsfahne zeigt eine gelbe Raute. Sie verweist einerseits auf ein Schifffahrtszeichen, das einen sicheren Fahrweg anzeigt. Als mathematisches Symbol bedeutet die Raute die Möglichkeit einer Revolution.
Design Revolution jetzt!
Design Revolution now!
Harald Gründl (Dr.phil.habil) ist Designer, Designtheoretiker und Kurator. Er ist Partner bei EOOS Design, Co-Geschäftsführer des Social Enterprise EOOS NEXT und leitet das außeruniversitäre Institute of Design Research Vienna (IDRV). Mit dem IDRV hat er gemeinsam mit Ronja Grossar zuletzt die Circular Design Rules (2021) entwickelt. Das Toolkit hilft Designschaffenden und produzierenden Unternehmen, kreislauffähige Produkte zu gestalten und zu evaluieren. Das IDRV hat neben zahlreichen Ausstellungs- und Forschungsprojekten auch das Buch Werkzeuge für die Designrevolution (Niggli, 2014) herausgegeben. „Design Revolution Now“ ist ein neues performatives Projekformat das die Dringlichkeit einer Transformation im Design in Richtung Weltverträglichkeit einfordert.