Gewebe der Zukunft: Wie KI und Tradition neue Teppiche spinnen
Ida Hausner und Max Blazek haben gemeinsam mit ihrem Vater Gebhart Blazek eine auf KI-Entwürfen basierende Teppichkollektion produziert, die im Rahmen des Designmonat Graz 2025 vorgestellt wird. Ein Interview zur Entstehung des Projekts.
Zwei handgeknüpfte Teppiche hängen zum Trocknen über einem einfachen Holzgestell im Freien, mit marokkanischer Landschaft im Hintergrund. Der linke Teppich ist farbenfroh mit abstrakten Mustern in Gelb, Rot, Grün und Schwarz, während der rechte Teppich in dezenten Beige- und Cremetönen gehalten ist. Im Vordergrund laufen Hühner frei umher, und die Umgebung ist ländlich, mit Bäumen, Büschen und Hügeln unter blauem Himmel.
© Blazek

Wie war der Entstehungsprozess des Projekts? Wie hat sich die ursprüngliche Idee entwickelt?

Max: Im Designtheoriekurs während meines Studiums in Berlin Weissensee haben wir ausführlich über den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Designprozess diskutiert. Ich fand diese theoretischen Überlegungen sehr bereichernd, wollte es aber auch in der Praxis ausprobieren. Wie würde es funktionieren, wenn ich versuchen würde, etwas mit der Unterstützung von KI zu entwerfen?
Das war zu Beginn des Jahres 2019.

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KI-entworfene Teppich-Muster, die in einem fließenden Übergang dargestellt werden. © Blazek

Ich habe dann begonnen, verschiedene Algorithmen auszuprobieren, die alle auf die Generierung von Bildern marokkanischer Teppiche abzielten. Ich war recht vertraut mit marokkanischen Teppichen und hatte durch meinen Vater Zugang zu einem großen Fundus an Teppichbildern. Die Ergebnisse dieser ersten Versuche waren ehrlich gesagt mäßig.

Fünf nebeneinander angeordnete, stilisierte Teppiche mit verschiedenen Mustern. Die ersten drei zeigen komplexe, farbenfrohe, geometrische Designs in Rot, Blau, Schwarz und Beige. Die letzten beiden Teppiche sind in hellen, neutralen Tönen mit schlichten, dunklen Linienmustern gestaltet. Die Darstellung wirkt wie eine digitale oder gemalte Illustration.
Erste KI-Entwürfe aus dem Jahr 2019. © Blazek

 

In erster Linie fehlte es mir an Daten. Damals wie heute gilt die Regel, dass eine große Menge an Daten extrem wichtig für das Trainieren von KI ist.
Nichtsdestotrotz war es ein interessantes Experiment, das mich und Gebhart zu langen Gesprächen über die Parallelen zwischen der Art und Weise, wie künstliche Intelligenz im Vergleich zum Menschen lernt und kopiert, inspirierte. Wir sprachen auch darüber, wie dies mit der Geschichte des Teppichdesigns in Marokko zusammenhängen könnte und ob die Entwürfe des Algorithmus in das Handwerk zurückgebracht werden könnten.

Ida: Für mich hat sich die Idee der Ausstellung aus dem Wunsch heraus entwickelt, das Ergebnis meiner Masterarbeit nicht auf den erfolgreichen Studienabschluss und ein nettes Buch zu beschränken. In ihr hatte ich mich mit Mustern und deren Entwicklung in marokkanischen Teppichen, sowie mit daraus KI-generierten Ableitungen auseinandergesetzt. Auf das Thema der analogen und digitalen Musterentwicklung bin ich im Sommer 2022 gestoßen. Ich habe mit Freund:innen über den Uniabschluss geredet und dabei kam das in meinem Leben große, aber bis dahin noch passive Thema “marokkanische Teppiche” als möglicher Fokus auf.
Am meisten fasziniert haben mich immer die Fülle an bunten und chaotisch anmutenden Mustern, die sich von Vorbildern von Teppichen aus städtischen Manufakturen ableiten. Wie sie sich von Stück zu Stück weiterentwickeln und die Teppiche dadurch selbst ihre Entwicklungsgeschichte zu erzählen scheinen. Eine Geschichte großer geografischer Dimension, denn die Muster dieser Teppiche wandern nicht nur in Marokko selbst und auch nicht erst seit kurzem von städtischen Gebieten in ländliche und vice versa. Im marokkanischen Teppichhandwerk spielen neben den Traditionen der Berber und arabischer Nomaden auch maurisch-andalusische, osmanische und weitere orientalische Einflüsse über das Mittelmeer hinweg eine Rolle. Das betrifft sowohl das Handwerk als auch die geknüpften Muster und Kompositionen, die aufgegriffen werden und die regionale Formensprache verändern.

Ländliche marokkanische Teppiche aus dem Hinterland der Atlantikküste südlich der Hauptstadt Rabat, hergestellt im späten 20. Jahrhundert. Die Motive stammen überwiegend von osmanischen und persischen Teppichen des 18. und 19. Jahrhunderts. © Blazek

 

Diese analoge Muster(weiter)entwicklung, die mich so fasziniert, ist also nichts ‘neues’ oder ‘modernes’ – diejenige einer KI hingegen schon. Aber, wie funktioniert die der KI überhaupt? Kann man sie sich ähnlich vorstellen, wie die ‘analoge’ Mustermigration in Teppichen?

Solche Fragen haben mich dann zu meinem Bruder Max gebracht, der sich über eine andere Fragestellung mit einem ähnlichen Thema beschäftigt hat. Dank seines Vorwissens hat er schnell zugesagt die technische Seite des Programmierens der KI zu übernehmen , die dann sowohl Daten für meine Masterarbeit geliefert hat als auch die Bilder für unsere gemeinsame Ausstellung MLrug. Unser Vater Gebhart war als lexikaler Unterstützer und Betreuer der praktischen Umsetzung auch schnell gewonnen.

 

Wie habt ihr euer Projekt technisch umgesetzt? Was hat diesen Prozess besonders geprägt?

Max: In meinen ersten Versuchen Anfang 2019 habe ich mit verschiedenen Algorithmen gespielt. Sie basierten alle auf sogenannten “generative adversarial networks“ oder kurz GANs. Diese waren zu jener Zeit Stand der Technik. Schon damals erzielte ich meine besten Ergebnisse mit „StyleGAN“, eine Art von GAN, das von Nvidia entwickelt wurde.
Als ich dann mit Ida für ihre Masterarbeit einen neuen Algorithmus trainieren wollte, habe ich mir noch einmal angeschaut, welche Algorithmen dafür in Frage kommen könnten. OpenAI hatte damals schon Dall-E 2, einen Bildgenerator, vorgestellt, der auf Transformern, einer grundlegend neuen und besseren Technologie als GANs basiert.

Am Ende haben wir uns aber für StyleGAN2-ada entschieden, weil es viel zugänglicher war. Transformer-basierte Algorithmen benötigen mehr Daten und mehr Rechenressourcen, um sie zu trainieren. Aus meinen ersten Experimenten wusste ich, dass die Daten ein Knackpunkt sein würden, deshalb haben wir speziell StyleGAN2-ada verwendet. Dabei handelt es sich um eine Variante, die extra für das Training mit weniger Bildern konzipiert ist.
Wir haben dann damit Ergebnisse von einer Qualität erzielt, die mich selbst überrascht hat. Wir haben das Ganze auf einer Cloud-Plattform trainiert, da wir die notwendigen Rechenressourcen leider nicht zuhause hatten.

 

Bei der Arbeit mit künstlicher Intelligenz gibt es immer die Frage zum Ursprung der Trainingsdaten. Wie seid ihr damit umgegangen?

Max: Die meisten der Bilder stammen aus Gebharts privater Fotosammlung, die er im Laufe der Jahre selbst fotografiert hat. Dies war ein sehr wichtiger Teil, da die Qualität dieser Bilder auch sehr hoch ist. Denn nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Trainingsdaten ist wichtig.
Daneben haben wir auch Bilder aus dem Internet bezogen. Dabei war es uns wichtig, diese Bilder nur für das Training eines Algorithmus zu verwenden, der in einem rein wissenschaftlichen, künstlerischen und transformativen Kontext eingesetzt wird.

Ida: Bei dieser Frage geht es auch um den Umgang mit dem kulturellen Gut. In Marokko ist das Kopieren von Mustern als Inspiration und zum Erlernen der Handwerkstechnik kulturimmanent. Auf diese Art werden Techniken, Muster und Kompositionen weitergegeben und verändert. Das ‘Bild’-Recht wird ganz anders wahrgenommen. Mit MLrug haben wir nicht den Anspruch marokkanische Teppichkultur zu kopieren, zu revolutionieren oder etwas zu ersetzen. Es ist der Versuch ein neues Fenster zu öffnen und zu schauen, wo es uns hinführt.

Was hat euch dazu inspiriert, den Schritt von der digitalen Welt zurück zum traditionellen Handwerk zu gehen?

Ida: Einerseits kommen wir aus einem Haushalt gefüllt mit marokkanischen Teppichen, daher lag dieser Schritt auf der Hand. Andererseits war mein Wunsch, die Ergebnisse meiner Masterarbeit nicht nur theoretisch, gebunden in einem Buch, liegen zu lassen. Nachdem ich die Inhalte meiner Arbeit mit meinem Kopf begriffen hatte, wollte ich sie auch mit dem restlichen Körper begreifbar machen. Im Sinne eines handwerklichen Stücks, das man angreifen kann, das Unterhaltungen anstößt, wenn es gesehen wird und so die hier diskutierten Inhalte in Bewegung hält. Weil es den Inhalt repräsentiert und diese grundlegende Verbindung zwischen digitaler Technologie und textilem Handwerk verkörpert.
Und natürlich spielte auch die Neugierde eine sehr große Rolle…

Gebhart: Neugierde. Darauf, zu sehen, was AI lesen + verstehen kann + was nicht. Noch größere Neugierde, wie man das zurück ins Handwerkliche übersetzen kann. Die heutige Produzentenlandschaft in Marokko ist rhizomatisch strukturiert, viele kleine Betriebe die lokal arbeiten und untereinander verknüpft sind. Ich arbeite mit einer dieser Produktionen im westlichen Mittleren Atlas seit etwa 7 Jahren zusammen und wir haben gemeinsam versucht, ein Qualitätsniveau zu erarbeiten, in dem auch solche anspruchsvollen Projekte möglich sind. Last but not least: ganz besondere Neugierde auf eine derartige Zusammenarbeit mit den eigenen Kindern auf beruflicher Ebene.

 

Die Wahl des Ortes für die handwerkliche Umsetzung ist sicher eine wichtige Entscheidung. Was hat eure Überlegungen dabei beeinflusst?

Gebhart: Für eine weitgehend vorlagengetreue Wiedergabe wäre eine Produktion in Indien oder Nepal naheliegender gewesen, da in den dortigen Manufakturen eigene IT Abteilungen computergestützte Knüpfvorlagen erstellen können und damit eine nahezu fotografisch getreue Umsetzung möglich ist. Wir haben eine Produktion in Marokko mit all ihren improvisatorischen Unschärfen vorgezogen, da diese einerseits dem Charakter und der Lebendigkeit der Ausgangsmaterie näher kommt und auch die Wertschöpfung der Produktion im Ursprungsland der Vorbilder verbleibt.

 

Welche unerwarteten Momente habt ihr erlebt, als eure digitalen Entwürfe in physische Objekte übersetzt wurden?

Gebhart: Da ich mit der ausführenden Produktion seit einigen Jahren zusammenarbeite, wusste ich über deren Möglichkeiten gut Bescheid. Dennoch hat mich die Lebendigkeit der Umsetzung, die vom Zusammenspiel vieler Details abhängig ist, noch einmal positiv überrascht.

Ida: Meine Herangehensweise war geprägt von Neugierde und einem Konzept, das abseits ästhetischer Erwartungen lag. Mir ging es um das zu Ende bringen einer langen, theoretischen Auseinandersetzung und die Möglichkeit, diese mit anderen zu teilen.

Traditionelles Handwerk und digitale Technologie scheinen oft in verschiedenen Welten zu existieren. Welche Verbindungen habt ihr zwischen diesen Bereichen entdeckt?

Ida: So weit entfernt sind die beiden Welten gar nicht. Ich möchte über die offensichtliche Parallele hinausgehen, dass ein Webbrief einem Pixel-Bild gleicht. Es gibt eine ganz ursprüngliche, historische Verbindung und für den ersten Einblick reicht es einfach hinzuhören: „(…) the Analytical Engine weaves algebraical patterns just as the Jacquard-loom weaves flowers and leaves.“ Das ist ein Zitat der Mathematikerin Ada Lovelace über die erste programmierbare Rechenmaschine, die Analytical Engine. Unsere Sprache zeigt aber noch mehr Verbindungen: wir diskutieren in “threads” über zusammengehörende Inhalte. Zwischen textilen Fäden, aber auch digitalen Inhalten und Personen werden durch “verlinken” Verbindungen geschaffen. Wir “zippen” und “unzippen” Dateien, Jacken und Taschen. Diese Parallelen gehen über das reine Wortspiel hinaus, denn um die Analytical Engine im 19. Jahrhundert programmierfähig zu machen, nutzte ihr Erfinder, der Brite Charles Babbage, ein binäres System mit Lochkarten, das er einer fremden Erfindung entnahm: dem Jacquard-Webstuhl. Das heißt, die Welt der digitalen Technologie und die des textilen Handwerks berührten sich bereits zu Beginn, als die Programmierfähigkeit der Analytical Engine ihren Anfang in der Textilindustrie nahm.

 

Wie haben sich eure Vorstellungen von kreativen Prozessen und den Möglichkeiten dieser Technologien während der Arbeit entwickelt?

Max: Ich würde mich grundsätzlich als technologie-positiven Menschen beschreiben. Und so hatte ich auch 2019, als ich dieses Projekt begonnen habe, eine sehr positive und optimistische Einstellung zum Einsatz von KI im Designprozess. Ein sehr wichtiger Teil des Designprozesses ist das Prototyping. Und KI kann bei diesem Prototyping-Prozess großartige Arbeit leisten, indem es einen breiten Fächer an Möglichkeiten aufmacht. Dies würde die Rolle der Designer:innen möglicherweise eher in die einer Kurator:in als in die einer Schöpfer:in verwandeln.

Heute würde ich jedoch sagen, dass ich weit weniger optimistisch bin. Wenn ich mich umschaue, habe ich das Gefühl, dass viele Menschen ihren kreativen Prozess nicht mit den großartigen KI-Tools ergänzen, die es mittlerweile gibt, sondern dass viele ihr Denken und ihren kreativen Prozess einfach komplett der KI überlassen. Die Ergebnisse der KI werden oft nicht kritisch hinterfragt. Dies führt letztlich zur Verbreitung von „AI Slop“. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird die KI wohl nicht nur zum Generator, sondern auch zum Kurator werden. Und ich bin mir nicht sicher, ob das mittelfristig etwas Gutes für die Ergebnisse des Designprozesses verheißt.

Ida: Meine Einstellung hat sich eher bestätigt als geändert. Die KI ist ein faszinierendes Werkzeug mit dem man eben auch einen passenden Umgang lernen muss. Es gibt Aspekte im künstlerischen Tun, in denen eine KI wunderbar genutzt werden kann. Aber es gibt andere Aspekte, in denen sie das nicht kann. Ich arbeite liebend gerne am Material und nehme es dabei wahr. Ich spüre den Widerstand, den meine Stifte am Papier haben. Ich spüre den kalten Ton und habe seinen erdigen, feuchten Geruch in der Nase… Stattdessen vor dem Computer zu sitzen und Befehle einzugeben, das erfüllt mich nicht. Wenn sich ihre Nutzung durch den Prozess oder, wie in MLrug, die Fragestellung ergibt, kann ich es mir gut vorstellen, aber es wird nicht mein neues “go to” Werkzeug werden.