
Ganz ehrlich, ich stelle mir manchmal die Frage: Was können wir Designer:innen wirklich tun? Klar, angesichts der Corona-, Ukraine- und Klimakrise kann man seine Zweifel haben. Aber wie groß ist unser Impact wirklich? Verändern wir Designer:innen wirklich die Welt? Gestalten wir Designer:innen wirklich die Zukunft? Oder ist Design häufig nur die Reflexion dessen, wie wir uns die Zukunft vorstellen, oder, uns am liebsten vorstellen wollen würden? Und in Wirklichkeit ist unsere Zukunft weniger vorhersehbar oder gar gestaltbar als häufig angenommen? Und in Wirklichkeit fahren wir voll gegen die Wand? Vielleicht sind wir Designer:innen gar nicht die Lösung, sondern selbst das Problem? Vielleicht sind wir sogar, ein Teil der Mechanik, indem wir ständig neue Begehrlichkeiten schaffen? Design als Motor der unsere Wegwerfkultur. Indem wir ständig neue Kollektionen entwerfen? Indem wir immer neue Dinge, durch noch neuere Dinge ersetzten? Design als ein Marketingtool? Design as a Unique Selling Proposition? Ein Verkaufsargument?
Sind wir Designer:innen wirklich die Game-Changer? Oder ist Design nur ein modernes Heilversprechen? Design, nur als ein Entwurf für eine bessere Zukunft, ein Fluchtort aus der Realität? So ungefähr „Den Kreativen wird zur Lösung der Klimakrise schon etwas einfallen“ Design eine Klimakosmetik? Design als ständig neuer Farbanstrich für alte Probleme? Gestalten wir Designer:innen überhaupt noch die Dinge, die uns umgeben? Ich meine hier in Graz in Österreich? Gestalten nicht längst die großen Agencies wie Accenture, McKinsey und Boston Consulting unsere Umwelt? Die Departments von Huawei, Foxconn, Samsung und Meta unsere Produkte? Und wir gestalten am Ende nur die kleinen netten Extras, die Add-ons, die Nice-to-have? Ist unser Einfluss als Gestalter:innen denn überhaupt gegeben?
Nur ein Beispiel im Bereich Mobilität: Sie erinnern sich, die Aufbruchstimmung in den 90ern für eine nachhaltige Zukunft, Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, Einsatz von Katalysatoren? Kleine sparsame Autos wie Smart, A-Klasse, Mini, A2 etc.? Das ist 30 Jahre her! Und heute? Fat Cars, und Super Fat Cars. Barocke Kisten, die in kein Parkhaus mehr passen. 30 Jahre wurde kaum in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, dafür in noch mehr Zubringer Autobahnen investiert. Und Schüler:innen, die sich aus Verzweiflung auf die Straße kleben, werden kriminalisiert? Mit Tränengas attackiert? Sorry, aber da kann man nur noch verzweifeln. Ganz ehrlich, überschätzen wir Design nicht einfach? Können wir Designer:innen wirklich die Zukunft gestalten? Haben wir überhaupt eine Chance, die Welt zu verändern?
Ja klar. Ja, können wir. Ja, wir Designer:innen gestalten neue Produkte! Aber die Welt braucht nicht noch mehr Produkte, wir brauchen nicht noch More-of-the-same, sondern intelligentere Produkte! Ja, Designer:innen gestalten die Zukunft, aber die Zukunft ist komplexer geworden und somit auch Design. Design ist nicht die reine Architektur der Dinge, nicht die Funktionalität und Usability der Dinge, sondern deren innere, unsichtbare Intelligenz. Der unsichtbare, verborgene, soziale und ökologische Impact. Wer macht ein Produkt und wo? Wie weit wird es transportiert und wie lange benutzt? Was passiert damit, wenn es nicht mehr gebraucht wird? Gerade diese Komplexität sozialer und ökologischer Veränderungen fordert uns, interdisziplinär zu denken, kritisch zu reflektieren und mutig zu interagieren. Unter welchen Arbeitsbedingungen und Sozialstandards? Aus welchen Rohstoffen? Mit welchem Energieverbrauch sind die Produkte entstanden? Inwieweit sind sie reparierbar, recycelbar oder biologisch abbaubar? Circular Design, Social Design, Eco Design. Das sind die neuen Product-Features, die neuen Key-Features.
Und nein, es sind nicht die großen Agencies und Lobbyisten, die sich für nachhaltige Produkte starkmachen werden. Es sind die Designer:innen, die zukunftsfähige Designstrategien entwickeln und das Thema erlebbar machen. Design ist der Impulsgeber für einen ökologischen und somit auch kulturellen und sozialen Wandel. Nein, Design ist kein Marketingtool, sondern eine Art Lebenseinstellung, die weitergegeben werden kann, die ansteckend sein kann, die wie ein Funke überspringt. Ja, Design ist wirklich ein Game-Changer, muss es sein! In einer gleichgeschalteten Welt, in der wenige Lebensmittelkonzerne, Textilkonzerne, Softwarekonzerne Monopole haben, die in der Geschichte ihresgleichen suchen, bedeutet Design, Vielfalt. Die Suche nach Autonomie und eigenständiger Identität. Ja, Designer:innen verändern die Welt! Design ist die Suche nach Alternativen. Design ist aber keine passive Pose, reduziert auf das Dasein als Konsument:in, „schau, was ich gekauft habe“, das ist kein kreativer Akt. Design ist immer eine aktive Haltung, eine Beteiligung am Verbessern, ein Involvieren in einen Prozess. Open Source, Open Creativity sind hier Aufrufe, sich aktiv an der Gestaltung unserer Zukunft zu beteiligen.
Kurz zusammengefasst: Wer, wenn nicht wir, die das Thema in die Gesellschaft, in die Unternehmen und in die Politik tragen. Und eines möchte ich noch ganz zum Schuss sagen, weil das Thema Nachhaltigkeit manchmal furchtbar belehrend, moralisch und brav daherkommt. Und das sage ich auch immer meinen Studierenden: Design ist eine schöpferische Kraft. Wir müssen entwerfen, wir können nicht anders. Wir machen Design, weil es Spaß macht. Design ist immer Freude an der Idee. Design ist immer Rock’n’Roll! Design ist immer politisch! Design ist immer Revolution! Danke.
Thomas Feichtner zählt zu den etablierten Produktdesignern Österreichs. Er entwirft Produkte für traditionelle Handwerksbetriebe wie J&L Lobmeyr, Jarosinski & Vaugoin, Augarten Porzellanmanufaktur und TON und verwirklicht freie Projekte in Kooperation mit Vitra, Absolut, Thonet und FSB. Seine Arbeiten wurden bei internationalen Ausstellungen in der Triennale di Milano, der International Biennial of Design in Saint-Étienne, dem Österreichischen Kulturforum in London sowie dem MAK, Museum für angewandte Kunst in Wien gezeigt und fanden Eingang in verschiedene Designsammlungen. 2011 wurde Feichtner für das Stauraumsystem „Ego“ mit dem Österreichischen Staatspreis für Design ausgezeichnet. Seit Oktober 2018 ist er Institutsleiter für den Bachelor- und Masterstudiengang Industriedesign an der FH Joanneum in Graz. Gemeinsam mit seiner Frau Simone lebt und arbeitet er in Wien und Graz.